„Super-Gemüse“
 von nebenan

Wald und Wiese bieten uns tolle Wildkräuter zum Selbersammeln.
 Doch auch in unseren Gärten und auf den Feldern wächst echtes
 Superfood.

„Super-Gemüse“ von nebenan

Wald und Wiese bieten uns tolle Wildkräuter zum Selbersammeln. Doch auch in unseren Gärten und auf den Feldern wächst echtes Superfood. Denn Kraut und Rüben aus heimischem Anbau können mit den exotischen „Wunderwuzzis“ auf dem Markt durchaus mithalten. Erstaunliches über regionales Gemüse. Und ein Vergleich.


In der September Ausgabe von „KNEIPP bewegt.“ haben wir wildwachsende, heimische Kräuter im Licht des Superfood-Scheinwerfers betrachtet, diesmal ist es regionales Gemüse. Beide Teile beziehen sich vor allem auf verarbeitete, als Superfood designte Produkte, aber auch auf unverarbeitete sowie exotische Pflanzen wie Chia oder Açai.
Auch wenn der Begriff „Superfood“ fachlich nicht haltbar ist, vermittelt er eine klare Botschaft: „Diese Nahrung zählt zur Oberliga jener Lebensmittel, die besser sind als alle anderen.“ 


Leider entsteht dadurch der Eindruck, dass unsere gewöhnlichen Lebensmittel nicht mehr nahrhaft genug sind. Doch davon kann keine Rede sein. In ihrem Buch „Superfoods. Einfach & Regional“ zeigt die Ernährungswissenschafterin und gelernte Köchin Andrea Fičala auf, dass gerade regional gewachsenes Obst und Gemüse die gesündere, schmackhaftere und nachhaltigere Wahl ist.


Sie
 sind frischer, reifer geerntet, kürzer gelagert und weniger mit Schädlingsbekämpfungsmitteln behandelt. Letzteres trifft insbesondere auf Gemüse aus biologischer Produktion zu.



Unter Superfood versteht man gemeinhin Produkte, die besonders viele Nährstoffe oder andere wertvolle Inhaltsstoffe enthalten. Sie sollen für Gesundheit und Schönheit sorgen, wenn man sie regelmäßig einnimmt. Paradoxerweise trifft das gerade auf die als Superfood angepriesenen Produkte häufig nicht zu: Vergleicht man sie mit heimischen Kräutern, mit Obst, Gemüse, Pilzen, Nüssen und Samen aus Österreich, schneiden letztere meist besser ab. Wirklich „super“ ist bei kommerziellen Produkten oft nur der Preis.


Liegt das Gute fern?


Exotische Früchte, Samen oder Blätter, meist pulverisiert und womöglich noch verpackungsaufwendig portioniert, wirken viel interessanter als das Altbekannte. Nicht selten werden sie als uralte, im Herkunftsland heilige Nahrung beworben. Sie scheinen Authentizität und traditionell bewährtes Wissen zu vereinen. Allzu gerne möchte man glauben, dass dies endlich der Schlüssel zu jener Energie, Gesundheit, Fruchtbarkeit, Schönheit und Klugheit sein könnte, die einem die „normale“ Nahrung bislang nicht gebracht hat. Auch bei uns gab es einst „heilige“ Nahrung: Viele Wildpflanzen waren hochverehrt, Kulturpflanzen wie Fenchel oder Nüsse genossen einen Ruf als aphrodisische Fitmacher. Doch das ist längst vergessen, die schnöden Bohnen und Rüben erscheinen uns allzu gewöhnlich. Lassen wir uns hier nicht täuschen!


Bei kommerzieller, verarbeiteter Ware ist der tatsächliche Nutzen äußerst ungewiss. Die Nährstoffgehalte sind oft ernüchternd, dafür finden sich darin Rückstände von Spritzmitteln, wie sie in der europäischen Landwirtschaft längst verboten sind.


Erschreckend auch die Streckmittel: Immer wieder werden Mehle von Holz oder Plastik gefunden, in harmloseren Fällen andere, unwirksame Pflanzen.


Doch einmal angenommen, die weitgereiste Handelsware liefert tatsächlich mehr Nährstoffe als Schadstoffe bzw. Streckmittel, bleiben immer noch die sozialen, ökonomischen und ökologischen Konsequenzen. Denn die steigende Nachfrage treibt auch die Preise in den Anbauländern in die Höhe, sodass die Produkte, die vor Ort wichtig und frisch und wirklich „super“ sind, für die dortige Bevölkerung bald unbezahlbar werden. Außerdem wird der Anbau intensiviert, und das bedeutet in aller Regel Monokultur, Überdüngung, Bodenerosion, Schadstoffe im Trinkwasser, schlechte Arbeitsbedingungen und einiges mehr.


Beim Stichwort „regional“ sind übrigens nicht die Ländergrenzen gemeint, sondern Transportwege. So sind in der Steiermark slowenische Kürbisse regionaler als Erdäpfel aus Vorarlberg. Wie nun „regional“ definiert wird, liegt im Ermessen des Einzelnen, doch im Großen und Ganzen kommt es nicht darauf an, etwa Olivenöl oder Gewürze vollständig zu streichen. Was in Österreich nicht wächst, kann immerhin aus nächster Nähe bezogen werden: Zitronen müssen nicht aus Argentinien kommen, sie werden auch in Italien und Griechenland angebaut. Was das Salz betrifft, gibt es keine wirklich guten Gründe, das europäische Bergsalz links liegen zu lassen.

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„Magische“ Inhaltsstoffe


Bei den begehrten Inhaltsstoffen handelt es sich um Stoffe aus fast allen Nährstoffklassen. Unerwünscht sind beispielsweise gesättigte Fette, Cholesterin, Stärke und freie Zucker. Besonders gefragt hingegen sind jene ganz speziellen Substanzen, die oft für bestimmte Pflanzenarten typisch sind und bei denen der Bedarf des Menschen nicht bekannt ist – nämlich die sekundären Pflanzenstoffe, etwa Gerb-, Scharf-, Schleim- und Bitterstoffe. Oder die

bunten Pflanzenpigmente, wie z. B. das Betanin der Roten Rübe oder das Betaxanthin der Gelben Bete.


Lebenswichtig sind solche Raritäten nicht, wir brauchen jedoch die Vielfalt und Abwechslung,

um möglichst lange gesund und leistungsfähig zu bleiben. Im Lebensmittelhandel ist diese Vielfalt durchaus erhältlich, man muss nur ein wenig abseits der ausgetretenen Wege suchen. Zum Beispiel durch die Beteiligung an einer „solidarischen Landwirtschaft“ oder einer Foodcoop.


Ein Naturstoff kommt jedenfalls selten allein, zumindest in der Natur. Jedes Blatt, jede Frucht

oder Wurzel ist ein Gesamtkunstwerk, eine in sich schlüssige Komposition nicht nur aus Einzelstof- fen, sondern auch aus Prozessen. Frisches Obst, Gemüse und Kräuter haben einen lebendigen Stoffwechsel, der erst durch Verdauen, Kochen oder Trocknen zum Stillstand kommt. Wie sonst könnten Tomaten noch in der Küche nachreifen, Pilze, die an der Sonne trocknen, noch Vitamin D anreichern oder Äpfel erst durch Lagerung süß werden?


Erst bei falscher oder zu langer Lagerung setzen Abbauprozesse ein, die Ware verdirbt und der Gesundheitsnutzen geht verloren. Doch bis dahin sind alle Nährstoffe mit all ihren Zwischenstufen vorhanden, einschließlich sämtlicher Hilfsstoffe wie Enzyme und Coenzyme, die die Pflanze für die Bildung dieser Nährstoffe braucht.


Stiefkind Ballaststoffe


Sie sind zwar keine Nährstoffe im eigentlichen Sinn, erfüllen aber nicht minder wichtige Funktionen. Unlösliche Ballaststoffe wie Pflanzenfasern  haben einen mechanischen Nutzen. Si machen den Nahrungsbrei „griffiger“ und erleichtern so seinen Transport durch Magen und Darm. Der Volksmund sagt „Ballaststoffe schrubben den Darm“.


Sie sind nicht nur in Vollkorngetreide und Grünkräutern stark vertreten, sondern auch in den Randschichten von Obst und Gemüse. In deren Innerem befinden sich die quellfähigen „löslichen“ Ballaststoffe, die vor zu hohen Blut-Cholesterinwerte schützen und die Darmschleimhaut nähren. Denn, wenn auch unsere Enzyme nicht imstande sind, Ballaststoffe aufzuspalten: Unsere Darmbakterien können es! Auf diese Weise sorgen Ballaststoffe für eine funktionierende Verdauung. Ohne Ballaststoffe bringt alles Superfood der Welt nichts.


Die Vielfalt nutzen


Supergesunde Ernährung ist im Grunde ganz einfach: Kochen Sie praktikable, unkomplizierte Speisen aus wenigen Zutaten, mit buntem Gemüse, das der Jahreszeit entspricht. Nutzen Sie die Vielfalt der Hülsenfrüchte, entdecken Sie fermentierte Lebensmittel jenseits der Essiggurkerl und allem voran: Seien Sie experimentierfreudig und neugierig auf das verkannte Altbekannte!